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Bosch in Deutschland
Im Gespräch

Urbane Mobilitätskonzepte der Zukunft

Ein Gespräch über Lebensmodelle, Technologie und Regulierung

Bosch-Geschäftsführer Stefan Hartung und Professor Barbara Lenz im Gespräch. Foto: © ZVEI/Thorsten Futh

Städte leben von Mobilität, drohen aber am Verkehr zu ersticken – und das in einem Land, dessen Wohlstand auf einer starken Mobilitätsindustrie beruht. Ein Gespräch über Lebensmodelle, Technologie und Regulierung mit Barbara Lenz, Leiterin des Instituts für Verkehrsforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, und Stefan Hartung, Bosch-Geschäftsführer und Vorsitzender des Unternehmensbereichs Mobility Solutions.

Früher hat man versucht, Städte autogerecht zu bauen. Mittlerweile hat man den Eindruck, dass die Städte sich gegen den Individualverkehr wehren.

Lenz: Ich sehe im Moment noch nicht viel Wehrhaftigkeit. Wir meinen seit vielen Jahren, man müsse es dem Verkehrsteilnehmer einfach nur schön machen, und er tut dann das, was er soll. Wehren hieße für mich aber, stärker festzulegen, was geht und was nicht geht.

Hartung: Das mögen die Menschen nicht.

Lenz: Jeder will, dass die anderen nicht mit dem Auto fahren. Aber selbst will man das natürlich gerne.

Hartung: Ich finde, man sollte immer mit dem Bürger anfangen. Der Bürger will Mobilität. Und er will in die Stadt, denn das ist ja das Geschäftsmodell der Stadt: dass sie Dinge und Dienstleistungen anbietet, die es außerhalb so nicht gibt. Wenn man auf dem Land wohnt, ist es einfach praktisch, mit dem Auto in die Stadt zu fahren – so entsteht Individualverkehr. Wenn man das nicht will, muss man Verkehr grundsätzlich anders organisieren.

Lenz: Nicht zu vergessen: Die Städte wachsen weiter, dadurch entsteht mehr Verkehr auf der gleichen Fläche. In der gebauten Umwelt ist es kaum möglich, zusätzliche Verkehrsflächen zu schaffen.

Gibt es so etwas wie eine ideale Mobilitätslösung für Städte?

Lenz: Eigentlich haben wir längst alles, was wir brauchen – zumindest in den Großstädten: einen hervorragenden öffentlichen Verkehr, Carsharing und Ridesharing und eine wachsende Fahrradinfrastruktur. Und trotzdem fahren viele Leute mit dem Auto.

Hartung: Es gibt halt auch den Winter – und viele andere Gründe, warum Menschen sagen: Ich möchte aber mit dem Auto fahren. Wir müssen in einem gesellschaftlichen Diskurs abwägen, wie wir in der Stadt eigentlich leben wollen. Es ist wichtig, in diese Diskussion nicht nur die Stadtbewohner, sondern auch das Umland einzubeziehen.

Lenz: Das halte ich für einen sehr wichtigen Punkt. Momentan tun wir sehr viel dafür, dass man sich in der Stadt bewegen kann. Aber wir tun noch nicht genug für die Mobilität jener, die in die Stadt kommen.

Professor Lenz spricht mit Stefan Hartung.
„Eigentlich haben wir längst alles, was wir brauchen – zumindest in den Großstädten: einen hervorragenden öffentlichen Verkehr, Carsharing und Ridesharing und eine wachsende Fahrradinfrastruktur. Und trotzdem fahren viele Leute mit dem Auto.“
Professor Barbara Lenz, Leiterin des Instituts für Verkehrsforschung des DLR
Stefan Hartung im Gespräch.

Kann man das Umsteigen nicht durch Technologie erleichtern?

Hartung: Technologisch kann man sehr viel machen. Man muss keinen tabellarischen Fahrplan mehr entziffern, sondern sieht an vielen Haltestellen, dass der Bus in drei Minuten kommt. Oder man nutzt eine App, die einem die Route vorschlägt und dabei auch Kosten berücksichtigt. Wenn Fahrdienstleistungen digital gebucht werden können, verändert das den Individualverkehr auch. Dabei gilt immer: Einerseits müssen wir den Bürgern die Möglichkeit lassen, ihr Verkehrsmittel frei zu wählen. Wenn sich andererseits alle für eine Verkehrsart entscheiden und sich infolgedessen nichts mehr bewegt, dann haben wir aber auch nichts gewonnen.

Lenz: Ich fürchte, ohne Regulierung wird es nicht gehen. Aber auch auf der Angebotsseite ist noch Luft. Die Berliner Verkehrsbetriebe haben beispielsweise einen Mitfahrservice eingeführt, der die Fahrgäste von der Haltestelle bis nach Hause bringt. Der Service wird gut von den Kunden angenommen. Und man denkt jetzt darüber nach, ob man nicht auch für Berufspendler kleine Shuttles einsetzt.

Gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse dazu, was Ridesharing wirklich an Verkehr einspart?

Lenz: Eine Studie aus den USA, die allerdings auf Modellierung beruht, sagt: Es gibt mehr Autoverkehr. Wir können diese Ergebnisse aus den USA aber nicht eins zu eins auf Deutschland übertragen, denn der öffentliche Verkehr dort ist ein anderer.

Hartung: Ich glaube auch nicht, dass wir das auf Deutschland übertragen können. Um es sicher zu wissen, müssen wir das schon hierzulande ausprobieren.

Verschiedene Autos auf einer Straße in der Stadt.

Sie sagen, Frau Professor Lenz, ohne Regulierung ginge es nicht. Wo sollte diese ansetzen?

Lenz: Sehr Vieles könnte man über die Parkraumbewirtschaftung erreichen. Und manchmal bräuchte es nicht mehr Regulierung, sondern nur mehr eine Kontrolle , dass bestehende Regeln eingehalten werden.

Hartung: Auch dabei kann Technik unterstützen. Aber gewisse Formen der Überwachung wollen wir in unseren Städten ja auch nicht haben. Das ist gegeneinander abzuwägen. Deshalb brauchen wir einen Diskurs darüber, welche Maßnahmen wir akzeptieren können.

Lenz: Es ist ja auch nicht so, dass jemand nur deswegen mit dem Auto unterwegs ist, weil er sehr gerne Auto fährt oder hyperbequem ist. Sondern man lebt in einem Haushalt, hat zwei oder drei Kinder, ist berufstätig – und muss alle Anforderungen zeitlich unter einen Hut bringen. Und dann steht da unten das Auto und nimmt einen immer mit, zu jeder Uhrzeit. Und man stellt sich in allem, was man tut, darauf ein. Das Auto ist nicht nur Verkehrsmittel.

Hartung: Das sehe ich genauso. Es geht nicht nur um den 19-jährigen Studenten in Berlin. Das sind meist hochflexible Charaktere. Das ganze Spiel verändert sich dramatisch bei zwei Berufstätigen, Mitte 30, mit zwei kleinen Kindern, eines muss in die Krippe, das andere in den Kindergarten, die Arbeitsplätze sind in zwei unterschiedlichen Bezirken. Deshalb können wir die Frage nach der Mobilität nicht von der Frage lösen, wie wir leben wollen. Und dass Pendler 20, 30 Kilometer außerhalb der Stadt wohnen, hat zudem oft auch ökonomische Gründe. Wenn man anfängt, das Pendeln deutlich zu verteuern oder gar Fahrverbote auszusprechen, dann gefährdet man Lebensmodelle.

Lenz: Und deshalb muss man vorher gute Alternativen schaffen.

„Wenn ich ein Auto besitze, habe ich den Schlüssel in der Tasche und fahre einfach los. Genauso leicht muss die Nutzung jeder Mobilitätsdienstleistung ablaufen.“
Stefan Hartung, Bosch-Geschäftsführer

Welche Rolle spielen dabei elektrifizierte Fahrzeuge?

Hartung: Elektrifizierte Fahrzeuge sind in Innenstädten ein Beitrag zu geringeren lokalen Schadstoffemissionen. Eine Veränderung des Mobilitätsverhaltens ist das noch nicht, aber Elektrofahrzeuge erhöhen die Lebensqualität in der Stadt schon. Das gilt übrigens auch für Linienbusse.

Lenz: Elektrifizierung macht letztlich aber nur Sinn, wenn wir irgendwann den Strom zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen beziehen.

Hartung: Da bin ich ganz bei Ihnen. Sektorentrennung ist Quatsch. Die Energieerzeugung ist elementar wichtig für eine gesamthafte Mobilitätsstrategie.

Stadt mit unterschiedlichen Elektrofahrzeugen.

Dafür gibt es die nationale Plattform „Zukunft der Mobilität“. Wie ist da der Status?

Lenz: Es ist zu früh, das zu beurteilen. Jede der sechs Arbeitsgruppen muss ja zunächst ihre Inhalte bearbeiten und dann werden die Gruppen in den kommenden sechs bis zwölf Monaten aufeinander zugehen und ein konsistentes Ergebnis vorlegen. In der von mir geleiteten Arbeitsgruppe geht es um alternative Antriebe und Kraftstoffe; dort haben wir inzwischen eine gemeinsame fachliche Grundlage für die weiteren Arbeiten geschaffen. Fest steht schon jetzt: Entwicklung und möglicher Einsatz der einzelnen Technologien sind entlang einer Zeitleiste zu sehen. Es geht also auch darum festzustellen: Wann können welche Technologien einen deutlichen Beitrag leisten?

Hartung: Die Plattform ist wichtig, weil dort zunächst auf breiter Basis die Annahmen diskutiert werden, mit denen wir arbeiten wollen. Technologie ist ja nichts Statisches, sondern unterliegt einem hochdynamischen Prozess. Und wir sehen, dass Entwicklungen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten erfolgen. Wir brauchen in Deutschland sehr viel Zeit, um Infrastrukturen für Strom oder Gas aufzubauen. Das ist auch ein Grund dafür, dass aus unserer Sicht Hybridantriebe sehr sinnvoll sind: Sie lassen sich relativ schnell realisieren.

Der Fahrzeugbestand verändert sich ohnehin nur langsam.

Lenz: Rund die Hälfte der Fahrzeuge, die heute auf den Straßen sind, sind zehn Jahre alt oder älter. Wenn wir über 2030 nachdenken, müssen wir also auf das Heute schauen. Mit unserem Diskurs in der Plattform können wir recht weit kommen, ich hoffe aber natürlich auch, dass die Ergebnisse politisch umgesetzt werden. Auch das wird seine Zeit brauchen..

Hartung: Und in Deutschland haben wir die besondere Situation, dass wir wirtschaftlich von der Herstellung von Mobilitätsprodukten leben. Mobilität ist daher nicht nur die Frage, wie wir leben wollen, sondern auch wovon wir leben wollen. Das muss zusammenpassen.

Lenz: Meine Wahrnehmung ist, dass wir die Möglichkeiten stärker beachten sollten, die wir jenseits der Automobilproduktion haben, etwa im Bereich der Energiebereitstellung. Da haben wir doch eigentlich sehr viel Know-how.

Hartung: Wir müssen unbedingt die Augen in alle Richtungen offen halten. Nehmen Sie das Thema Elektroantriebe für E-Bikes, das ist für uns ein sehr wichtiges Geschäft geworden. Es gibt immer wieder Neues zu finden, in der Mobilität und in den angrenzenden Sektoren. Das ist unsere Aufgabe als Industrie!

Straßen von Berlin.

Prof. Dr. Barbara Lenz arbeitete nach ihrem Studium der Geographie und der Germanistik zunächst für kurze Zeit als Lehrerin, begann dann aber eine wissenschaftliche Karriere, die sie nach ihrer Habilitation an das Institut für Verkehrsforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) führte. Seit 2003 ist sie Inhaberin einer Sonderprofessur für Verkehrsgeographie an der Humboldt-Universität in Berlin und seit 2007 Leiterin des DLR-Instituts für Verkehrsforschung. Innerhalb der Nationalen Plattform „Zukunft der Mobilität“ leitet sie die Arbeitsgruppe 2, die sich mit alternativen Antrieben und Kraftstoffen beschäftigt.

Dr.-Ing. Stefan Hartung studierte Maschinenbau an der RWTH Aachen, wo er auch promovierte, bevor er seinen Berufsweg bei McKinsey begann. 2004 wechselte er zu Bosch Siemens Hausgeräte als Bereichsleiter für Geschirrspüler. Sein weiterer Weg bei dem Elektrokonzern führte ihn im Jahr 2013 in die Geschäftsführung, wo er für die Unternehmensbereiche Energie- und Gebäudetechnik sowie die Industrietechnik verantwortlich war. Seit Januar 2019 verantwortet er den Unternehmensbereich Mobility Solutions.

Erstveröffentlichung in AMPERE 3.2019 von Johannes Winterhagen
Portraitbilder © ZVEI/Thorsten Futh