Technologische Souveränität
Fishbowl Discussion in Berlin
08.09.2020
„Wir brauchen Zugriff auf Schlüsseltechnologien damit Innovationen entstehen können“, macht Bosch-Geschäftsführer Michael Bolle die Bedeutung technologischer Souveränität deutlich.
Technologische Souveränität: Standortfaktor oder Innovationshemmnis?
Für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands und Europas ist es zwingend notwendig, Schlüsseltechnologien wie künstliche Intelligenz (KI) voranzutreiben und digitale Plattformen auf internationalem Spitzenniveau zu betreiben – aber nur mit festen Spielregeln, die den europäischen Werten entsprechen. Dies war eine zentrale Aussage von Bosch-Geschäftsführer Michael Bolle bei der Experten-Diskussion: „Technologische Souveränität: Standortfaktor oder Innovationshemmnis?“ in der Berliner Bosch-Repräsentanz.
Neben Technik- und Digitalchef Bolle nahmen weitere Experten teil: Rafael Laguna de Vera, Leiter der Agentur für Sprunginnovationen, Janka Oertel, Direktorin des Asienprogramms beim Thinktank European Council on Foreign Relations sowie Katrin Suder, die dem Digitalrat der deutschen Bundesregierung vorsteht. In der Diskussion, die live ins Internet übertragen wurde, standen drei Fragen im Fokus: Was bedeutet technologische Souveränität? Was ist die europäische Strategie für eine technologische Souveränität und welche Rolle spielt das Nutzervertrauen in die Technologie von morgen?
Technologische Souveränität als europäisches Projekt
Gleich zu Beginn der Diskussion machte Michael Bolle eines deutlich: „Als global tätiges Unternehmen beobachten wir die geopolitische Lage und ihre Folgen sehr genau.“ Besonders bedeutend sei das Verhältnis zwischen den USA und China für den Handlungsspielraum von globalen Unternehmen. Die beiden Großmächte konkurrieren auch darum, wer bei wichtigen Technologien wie der Mikroelektronik oder KI die Nase vorn hat. Der freie Zugang zu solchen Schlüsseltechnologien wird in Fachkreisen als Technologische Souveränität bezeichnet. Und die sei auch für Bosch wichtig: „Wir brauchen Zugriff auf Schlüsseltechnologien damit Innovationen entstehen können“, so Bolle. „Fehlt der Zugang, bedeutet das höhere Komplexität, steigende Kosten und weniger Innovation.“ Für Bolle ist klar: „In Europa müssen wir ein Regelwerk schaffen, das einen fairen Wettbewerb auch mit den anderen Weltregionen zulässt.“ Auch Katrin Suder, Beraterin der Bundesregierung in Digitalfragen, forderte europäisches Selbstbewusstsein: „Technologische Souveränität muss europäisch gedacht werden. Wir brauchen Skalierung, denn nur dann sind Technologien auch wirtschaftlich.“
Die Teilnehmer der Diskussion
Vielversprechende Schlüsseltechnologien
Wichtige Grundlage für alle Schlüsseltechnologien sei der Zugang zu schnellem Internet: „Die Netzinfrastruktur ist der Schlüssel für alles, was zum Beispiel im Bereich Softwareentwicklung und KI passiert. Daher ist es für Europa eine entscheidende Aufgabe, leistungsfähige 5G-Netze überall dort aufzubauen, wo sie gebraucht werden“, sagte Bolle.
GAIA-X – eine europäische Netzinfrakstruktur
Mit GAIA-X wollen Deutschland und Frankreich als Vorreiter mit weiteren Partnern eine gemeinsame Cloudinfrastruktur in Europa aufbauen, indem vorhandene Technologien mit geeigneten Schnittstellen zusammengeführt werden – und zwar unter festen Regeln. Damit könne sich Europa auch von anderen Regionen im Wettbewerb differenzieren, so Bolle: „In bestimmten Industrien wie der Automobilindustrie sind wir in Europa extrem stark. Wir haben ein großes Domänenwissen. Dieses Wissen muss verknüpft werden mit Big Data und maschinellem Lernen. Das ist unser Pfund, aber wir brauchen die passende Infrastruktur.“
Eine europäische Cloud stärke außerdem das Vertrauen von Verbrauchern. Sie können zum Beispiel sicher sein, dass ihre Daten durch die europäische Datenschutz-Grundverordnung geschützt sind. Auch Kodizes für KI oder Maß-nahmen für die Cyber-Sicherheit werden in Europa konsequent verfolgt. „Die Industrie und Entscheidungsgremien müssen gemeinsam an Standards arbeiten“, forderte Bolle. Rafael Laguna de Vera von der Agentur für Sprunginnovationen hob einen weiteren Aspekt hervor: „Unsere europäischen Werte können eine entscheidende Marktchance sein. Viele Menschen in anderen Ländern würden gerne Produkte nutzen, die nach diesen Werten entwickelt wurden.“ Dem stimmte auch Suder zu: „Technologische Souveränität ist kein Selbstzweck, sondern wichtig, damit wir die Digitalisierung so gestalten können, dass sie zu unserem Wertesystem passt. Produkte, die unter diesen Voraussetzungen entstehen, können in der Tat ein Exportschlager sein.“
Das Expertengespräch in Berlin hat insbesondere dies deutlich gemacht: Erst wenn sich Europa auf gemeinsame Spielregeln für eine Technologische Souveränität einigt, kann es einen wirklichen Schub für digitale Innovationen geben. Geopolitische Spannungen bleiben eine Herausforderung und erschweren das Innovieren. Ein Schlüssel für konstruktive Lösungen ist der Dialog zwischen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft – wie das gelingen kann, hat auch die Diskussionsrunde gezeigt.